Ausbau der Stromnetze

Engpässen bei der Stromversorgung präventiv begegnen

Strommast mit Windraedern
 
 

Nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima verkündete die Bundeskanzlerin relativ überraschend für alle Beteiligten den Ausstieg aus der Atomenergie innerhalb der kommenden zehn Jahre. Und damit nicht genug: Aufgrund der Bedenken beim Betrieb älterer Atomkraftwerke folgten Sicherheitsüberprüfungen, die zum Ergebnis hatten, dass eine Reihe von Kernkraftwerken sofort stillgelegt wurde.

Engpässe bei der Stromversorgung

Der von den großen Energiekonzernen stets vorhergesagte Zusammenbruch der Energieversorgung ist bislang ausgeblieben – doch das ist kein Grund zur Entwarnung.AEE-Stromnetz-Deutschland 10 Viele Experten warnen regelmäßig vor Stromausfällen in besonders ungünstigen Situationen. Allzu empfindlich könnten Stromnetze auf Überlastungen reagieren, so die Befürchtung. Aber wo liegt eigentlich das Problem mit dem Höchstspannungsnetz in Deutschland? Bisher wurde der Strom hauptsächlich in den Regionen erzeugt, wo er auch verbraucht wurde. So erzeugten die hauptsächlich im Süden der Republik errichteten Kernkraftwerke auch den Großteil des dort verbrauchten Stroms. Die Übertragungsnetze, also quasi unsere Stromautobahnen, waren dabei nicht für eine Verschiebung der Versorgungswege ausgelegt. Engpässe gibt es vor allem beim Transfer der Windenergie, die in erster Linie im Norden und Osten erzeugt wird. Die Möglichkeiten, große Mengen an Strom in den Süden zu leiten, sind stark begrenzt. Denn nicht nur ein Ausfall von Kraftwerken kann zum Stromausfall führen – auch ein Übermaß an Strom im Netz kann zu dessen Kollaps führen. Um solche Probleme zu verhindern, müssen die Netzbetreiber häufig zu Tricks greifen und Strom über ausländische Stromtrassen transportieren. Die Nachbarn in Polen oder Tschechien finden das aber gar nicht gut, weil dies ihre Stromnetze über Gebühr belastet.

Strompreise entwickeln sich paradox

Es kommt vor allem dann zu einem Überangebot an Strom, wenn besonders viel Ökostrom im Netz ist. Der vorrangige Ausbau der Windkraftanlagen führt schon heute oft zu einer wesentlich höheren Stromproduktion, als überhaupt verbraucht werden kann. Und hier liegt auch der große Nachteil der erneuerbaren Energien: Sie lassen sich kaum regulieren. Sowohl Sonne als auch Wind lassen sich nicht nach Wunsch bestellen und so kann es bei Flaute und lichtarmen Wetterlagen zu einer Verknappung von Strom kommen, während bei besonders starken Stürmen oder langen Schönwetterperioden im Hochsommer genau das Gegenteil eintritt. Da Ökostrom Vorrang bei der Einspeisung hat, können die Netzbetreiber die Anlagen auch nicht einfach vom Netz nehmen. Auch finanziell macht sich dies bemerkbar, denn an der Strombörse sinkt der Strompreis dann regelmäßig ab, weil kaum Nachfrage besteht. Zu Spitzenzeiten ist es sogar schon vorgekommen, dass negative Strompreise notiert wurden – dann mussten deutsche Netzbetreiber ihre ausländischen Kollegen dafür bezahlen, dass diese den deutschen Strom überhaupt abgenommen haben. Gleichzeitig bekommen die Betreiber der Windkraftanlagen allerdings ihre garantierte Einspeisevergütung.

Private Verbraucher zahlen drauf

Eigentlich klingt das nicht danach, als ob die Energiewende ein großes Versorgungsproblem darstellen würde. Es erklärt auch nicht, warum die Strompreise für die Endverbraucher immer weiter steigen. Denn von den niedrigen Großhandelspreisen profitiert der Privatkunde bislang nicht. Grund dafür sind die diversen Umlagen, die von den Stromanbietern auf die Stromtarife aufgeschlagen werden. So steigt die EEG-Umlage (zur Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien) seit Jahren weiter an. Und auch die neu eingeführte Netzumlage trifft ausschließlich private Verbraucher und kleinere Gewerbetreibende, denn mit ihr werden die Ausnahmen finanziert, die von der Politik für stromintensive Industrien vorgesehen sind. Damit soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen gesichert werden. Weil aber beinahe jeder mit einem entsprechenden Stromverbrauch einen solchen Antrag auf Befreiung stellen kann, führt dies zu Absurditäten, die dem Verbraucher kaum zu vermitteln sind. Denn dass Golfplätze, Bäckereien oder Krankenhäuser in keinem internationalen Wettbewerb stehen, dürfte unstrittig sein.

Netzausbau kommt nicht schnell genug voran

Fast alle Energieexperten sind sich darin einig, dass das Hauptproblem weniger auf der Erzeugerseite liegt. AEE-Schema-Stromnetz09Mit dem massiven Ausbau erneuerbarer Energien sowie dem Neubau von Gaskraftwerken, die kurzfristig Kapazitäten der abgeschalteten Atomkraftwerke auffangen können, müsste es eigentlich möglich sein, den Atomausstieg wie geplant durchzuführen. Doch während die Zeit weiter voranschreitet, kommt ein wichtiger Aspekt kaum ausreichend voran: Der Ausbau der Stromnetze. Nur dann, wenn innerhalb Deutschlands der Strom schnell und effizient verteilt werden kann, wird die Energiewende gelingen, so das Credo der meisten Fachleute. Dabei geht es neben dem reinen Netzausbau der Übertragungswege von Nord nach Süd aber auch um die Anbindung neuer Windparks. Besonders die wegen ihrer hohen Effizienz gelobten Offshore-Windparks auf hoher See müssen natürlich erst einmal mit dem Stromnetz verbunden werden, bevor Verbraucher davon profitieren können. Das ist auf dem Meer teurer und aufwändiger als an Land, wird aber durch den stärker wehenden Wind langfristig ausgeglichen. Beim Netzausbau gibt es extrem viele Hürden zu nehmen, die mittlerweile für Verzögerungen gesorgt haben, die man sich eigentlich nicht leisten kann, wenn der Fahrplan zur Energiewende noch eingehalten werden soll.

Kosten für den Netzausbau

Wie so oft ist es eine Kostenfrage, die am Anfang steht. Die Netzbetreiber und Energiekonzerne stehen vor gewaltigen Investitionen in den Ausbau der Stromnetze. Dass diese irgendwie finanziert werden müssen, dürfte Jedermann einleuchten. Die Berechnungen schwanken, jedoch wird allgemein ein Betrag von mehreren Milliarden Euro angenommen.Kosten Netzausbau Dass dadurch die Strompreise rapide steigen würden, ist allerdings unwahrscheinlich, denn dieser Betrag würde nicht von heute auf morgen fällig. Vielmehr handelt es sich um Investitionen über viele Jahre, die entsprechend gestreckt auf die Endpreise umgelegt würden. Letztlich wäre die Preissteigerung durch den Netzausbau für die Privatkunden im Gegensatz zu den anderen Kostenfaktoren fast zu vernachlässigen. Dennoch gibt es Streit, denn das St.-Florians-Prinzip gilt bei den meisten Bauvorhaben der Allgemeinheit. Keiner will die neuen Anlagen in seiner Nachbarschaft haben. Dabei scheint es gleichgültig zu sein, ob es sich um Atomkraftwerke, Kohlekraftwerke, Windkraftanlagen oder die notwendigen Strommasten handelt, um die Netze ausbauen zu können. Viele Bürger sind verunsichert, wenn sie Hochspannungsleitungen in der Nähe ihrer Häuser sehen, weil sie den ominösen Elektrosmog fürchten. Wissenschaftlich ist die Schädlichkeit von Stromleitungen stark umstritten. Während die eine Seite „klar nachweist“, dass keine gesundheitlichen Gefahren von Hochspannungsmasten ausgehen, meint die andere Seite, das Gegenteil beweisen zu können. Die logische Alternative ist für viele Menschen daher das Erdkabel, ungeachtet dessen, dass der Löwenanteil der elektromagnetischen Belastung von Haushaltsgeräten im Alltag ausgeht.

Erdkabel – Universallösung oder Irrweg?

Es klingt bestechend einfach: Statt sich den elektromagnetischen Feldern von frei stehenden Hochspannungsleitungen auszusetzen, könnte man die Stromversorgung doch unterirdisch gestalten. Außerdem könnte man statt Wechselstrom den vermeintlich „besseren“ Gleichstrom verwenden, dessen Felder dem natürlichen Magnetfeld der Erde ähneln. Vielerorts gibt es entsprechende Pilotprojekte, wobei es auch hier schon wieder Wissenschaftler gibt, die eine Abschirmung durch das Erdreich ebenfalls nicht für ausreichend halten. Aussagekräftige Studien zur Untermauerung der „gesünderen“ Variante fehlen derzeit noch völlig. Das Erdkabel hat aber auch andere Schattenseiten. Denn in erster Linie steigen die Kosten pro Kilometer Leitungsstrecke gewaltig an. Netzbetreiber gehen von 10 Millionen Euro je Kilometer beim Erdkabel aus, während es bei Freileitungen lediglich 1,5 Millionen Euro sind. Sogar die Befürworter der Erdkabelvariante räumen Mehrkosten ein, die nach ihrer Ansicht beim Faktor 2,5 liegen. Das Umweltministerium nimmer einen Faktor zwischen dem vier- und sechsfachen der Freileitungskosten an. Doch selbst, wenn die Kostenfrage gelöst werden sollte, bleiben technologische Hürden bei der Verlegung, die für weitere Zeitverzögerungen sorgen – sofern sie überhaupt überwunden werden können.

Grundbesitzer verzögern wichtige Projekte

Wer nun aber denkt, dass abseits aller technischen und finanziellen Fragen das Erdkabel die ideale Lösung sein müsse, der unterschätzt die Sturheit deutscher Bürger, wenn es um ihre eigenen Interessen geht.Strommasten energiedebatte-ch Flickr CC BY 20 Das schon erwähnte Prinzip des St. Florian (der doch bitte das eigene Haus vom Feuer verschonen möge, um das des Nachbarn abzufackeln) gilt auch dort, wo es gar keine bebauten Gelände gibt. Denn der Großteil des Netzausbaus entfällt schließlich auf Überlandleitungen, die abseits von Siedlungen errichtet werden. Schon heute gibt es immer wieder Verzögerungen durch Klagen von Landwirten und anderen Grundstückseigentümern, die sich gegen einen Verlust von Land stellen. Dabei ist die Installation von Freileitungen unter Umständen sogar günstiger für die Landwirte als die aufwändige Verlegung von Erdkabeln. Denn beim Aufstellen von Strommasten wird nur eine relativ geringe Standfläche benötigt, die der landwirtschaftlichen Nutzung von Ackerflächen kaum abträglich ist. Sollte hingegen die erdgebundene Verlegung von Stromleitungen zum Standard werden, müssen natürlich die Felder und Grundflächen auf der gesamten Länge der Leitungen genutzt werden. Auch wenn man davon ausgeht, dass nach der Verlegung die Nutzung der Flächen wieder uneingeschränkt möglich ist, wäre zumindest für die zeitaufwändigen Bauarbeiten zur unterirdischen Verlegeung der Erdkabel eine solche Nutzung nicht möglich. Dass sich eine Klagewelle durch das Land ziehen würde, ist also auch hier zu erwarten.

Ist die Energiewende noch zu schaffen?

Es liegt aber natürlich nicht nur am Geld und an sturen Bürgern, dass der Netzausbau so langsam voranschreitet. Das Chaos der Kleinstaaterei spielt eine viel größere Rolle. Denn solange der Netzausbau auf kommunaler Ebene genehmigt und geplant wird, kann eine derart gewaltige Aufgabe kaum gestemmt werden. Ähnliche Verzögerungen, wie sie beim Bau von Autobahnen oder Bahntrassen bereits zum Alltag gehören, kann sich Deutschland bei der Energiewende schlicht und einfach nicht leisten. Versuche der Politik, dies alles in die alleinige Verantwortung des Bundes in Gestalt der Netzagentur zu legen, gibt es zwar. Doch wirklich überzeugende Fortschritte sind bisher immer noch nicht gemacht. Zur Erinnerung: Expertenschätzungen zufolge werden rund 4000 Kilometer neue Stromleitungen benötigt – wirklich umgesetzt ist davon bislang nur ein Bruchteil. Schon jetzt ist der Fahrplan zur Energiewende kaum noch einzuhalten, selbst wenn sich die Probleme plötzlich in Luft auflösen würden.

Ist der Netzausbau nötig?

Wer sagt überhaupt, dass der Netzausbau tatsächlich so massiv vorangetrieben werden muss? Natürlich muss jede neue Anlage zur Stromerzeugung an das Netz angeschlossen werden. Doch es gibt auch Energiefachleute, die einen stärkeren Akzent auf die dezentrale Energieversorgung legen möchten. Der Vorteil liegt auf der Hand: Würde man den Strom nicht mehr in wenigen Großkraftwerken für ganze Regionen erzeugen, sondern viele kleine Anlagen zusammenschalten, ließe sich der Strombedarf ebenso decken. Ein großer Netzausbau wäre dann allerdings gar nicht mehr notwendig, da lokale Anlagen einfach an die existierenden Infrastrukturen angebunden werden könnten. Kostensparend wäre das nach Ansicht der Befürworter dieser Lösung ebenfalls, denn kleinere Kraftwerke verursachen weniger Kosten, so die Überlegung. Auch Sicherheitsexperten finden diese Variante charmant, denn sie würde die Anfälligkeit des bundesdeutscher Stromnetze gegen Naturkatastrophen oder gar terroristische Anschläge deutlich verringern. Reicht es nämlich heute aus, ein großes Kraftwerk plötzlich aus dem Spiel zu nehmen, um zumindest für lokale Überlastungen im Stromnetz zu sorgen, wäre ein dezentralisiertes Netz wesentlich weniger anfällig. Das wäre das gleiche Prinzip, auf dem die Erfindung des Internets im Kalten Krieg gründet. Denn auch hier ging es ursprünglich um sicherheitspolitische Erwägungen. War es vor der Vernetzung möglich, durch die Zerstörung einzelner Rechenzentren die militärische Infrastruktur lahmzulegen, ist das bei einer dezentralen Vernetzung nicht mehr durchführbar. Sobald ein wichtiger Rechner ausfällt, kann ein anderer die Lücke schließen. Beim Stromnetz wäre dies prinzipiell auch denkbar – und selbst, wenn es nicht gelingen sollte, eine Lücke zu schließen, wären mögliche Stromausfälle eng begrenzt und würden kaum überregionale Folgen nach sich ziehen.

Nicht nur Politiker müssen sich entscheiden

Die Diskussion um den Netzausbau hat viele Facetten. Die Schuld bei einzelnen Gruppen zu suchen, wäre dabei zu kurzsichtig. Die Fragen der Finanzierung, der technischen Durchführbarkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz neuer Leitungen (gleich welcher Form) müssen von der Politik mit einem klaren Konzept gelöst werden. erneuerbare energienKritiker der Bundesregierung bemängeln das Fehlen eines solchen Konzeptes. Ob es jedoch nach einem eventuellen Regierungswechsel schneller mit dem Ausbau der Stromnetze vorangehen würde, darf bezweifelt werden. Zu viel Zeit ist jetzt schon vergangen, um noch Spielraum für aufwändige Neuplanungen zu haben. Das vielbeschworene „Ziehen an einem Strang“ war selten so wichtig wie bei der Energiewende. Als Bürger kann man dabei mehr tun, als viele glauben. Denn nicht nur an der Wahlurne herrscht Mitbestimmung. Durch die Wahl der richtigen Stromanbieter und der Akzeptanz des Ausbaus sowohl der erneuerbaren Energieträger als auch neuer Leitungssysteme kann jeder etwas zum Gelingen der Sache beitragen. Ohne etwas mehr Einsicht auf allen Seiten und dem Willen zur Kooperation wird am Ende nur die Wahl bleiben, die Energiewende einstweilen abzusagen und am Ende doch wieder auf Atomkraftwerke zurückzugreifen, wenn man die Versorgungssicherheit nicht gefährden möchte. Eine Alternative, die für viele undenkbar sein dürfte.

Bildnachweis:
Hauptbild:  energiedebatte.ch via Flickr.com / Lizenz: CC BY 2.0
Bild 1 und 2: Agentur für Erneuerbare Energien / www.unendlich-viel-energie.de
Bild 3: Alf Melin via Flickr.com / Lizenz: CC BY-SA 2.0
Bild 4 und 5: energiedebatte.ch via Flickr.com / Lizenz: CC BY 2.0

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