Fukushima Heute – die Folgen

Spätfolgen: 5 Jahre nach dem GAU

 
 

Am 11. März 2011 kam es in Japan zu einem Erdbeben, das einen verheerenden Tsunami zur Folge hatte. Die Überschwemmungen beeinträchtigten auch das an der Küste gelegene Atomkraftwerk Fukushima. Es kam zum schwersten Atomunfall seit 1986, als schließlich drei der Reaktoren in eine sogenannte Kernschmelze übergingen, was unter Experten als GAU (Größter anzunehmender Unfall) bekannt ist. Dabei kann die Kernreaktion mangels ausreichender Kühlung nicht mehr kontrolliert werden, was zu extremen Folgen führen kann. Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt verfolgten teils für mehrere Tage die Entwicklung der austretenden Strahlung und des kontaminierten Kühlwassers. Bisher kam es erst einmal in der Geschichte zu einer solchen Kernschmelze, nämlich im April 1986 in Tschernobyl. Obwohl dort “nur” ein Reaktor betroffen war, scheinen die Auswirkungen von damals sehr viel dramatischer gewesen zu sein als heute in Fukushima. Woran liegt das? Oder ist es einfach nur der Schein, der hier aufrecht erhalten wird. Zumindest die Dokumentation Inside Fukushima mit Stefan Gödde, die am 22.08.2016 auf ProSieben ausgestrahlt wurde, lässt das vermuten.

Tsunami überflutete AKW Fukushima – so sieht’s heute aus

Die Folgen direkt nach der Überspülung durch einen der stärksten Tsunamis in der Geschichte Japans, waren durchaus dramatisch. In den Blöcken 1 bis 3 kam es zu Kernschmelzen, während das Abklingbecken für Brennelemente in Block 4 plötzlich komplett unter freiem Himmel lag. Ein Zirkoniumbrand drohte und mit ihm die Kontaminierung der Luft durch unvorstellbare Mengen an Radionukliden. Bis heute ist es die zweitschlimmste Atomkatastophie in der Geschichte der Menschheit. Das private Forschungsinstitut “Japan Cener for Economic Research”, schätzt die Kosten für die Aufräumarbeiten und Säuberung auf ca. 200 Milliarden Dollar. 80 Milliarden allein’ für den Abriss der Atomruine Fukushima. Tepco setzt für die Arbeiten einen Zeitraum von 30 bis 40 Jahren an.

So sah es kurz nach dem Auftreffen des Tsunamis aus - mittlerweile hat das Aufräumen begonnen
So sah es kurz nach dem Auftreffen des Tsunamis aus – mittlerweile hat das Aufräumen begonnen – Foto: fotolia / kariochi

Die Ersthilfe durch den Betreiber TEPCO wurde in den ersten Wochen und Monaten massiv kritisiert, wirkte planlos und unbeholfen. Radioaktiv verseuchtes Wasser wurde ins Meer geleitet, woraufhin sogar Aldi seinen Seelachs aus den Tiefkühltruhen entfernen lies, obwohl dieser ja schon lange vor der Katastrophe gefangen wurde. Die Angst und Hysterie war enorm groß. Tausende Flüge per Helikopter mit Kühlwasser sollten die Brennelemente notdürftig kühlen und Schlimmeres verhindern. Geigerzähler und Jod waren weltweit Mangelware. Doch was sind nun wirklich die Folgen des Gaus vor gut fünf Jahren? Wie sieht es heute in Fukushima aus?

Fukushima ist verstrahlt – aufgeräumt wird trotzdem

Bis heute ist Fukushima verstrahlt und zehntausende Entseucher sind im Einsatz. Die Hauptaufgabe ist das oberflächliche Abtragen des verseuchten Erdbodens. Außerdem reinigen sie Dächer, Regenrinnen und holzen verseuchte Bäume ab. Besonders erstaunlich: Bereits im März 2017 sollen alle Sperrzonen, mit Ausnahme der direkten Umgebung des AKW Fukushima, wieder geöffnet werden. Man darf davon ausgehen, dass auch die Olympischen Sommerspiele 2020 einen großen Faktor für den enormen Entseuchungsaufwand darstellen. Ministerpräsident Shinzo Abe möchte die Zugverbindung an der Küste bis zu den Sommerspielen wieder in Betrieb nehmen. Gleichzeitig soll der der Tourismus in der Region Tohoku in Nordjapan auf 1,5 Millionen Gäste nahezu verdreifacht werden.

Zwar wird oft gesagt, dass die Auswirkungen des GAUs von Tschernobyl schwerwiegender waren, als die Spätfolgen in Fukushima. Jedoch kann das nicht zu 100 % bestätigt werden. Wir bekommen einfach weniger davon mit. Unbestritten war der damalige Einsatz der Selbstmord-Kommandos zum Errichten des Sarkophaks in Tschernobyl weitaus dramatischer. Doch die bloße Anzahl an Helfern in Fukushima nährt sich diesem Wert langsam an, ebenso wie die Anzahl an Todesopfern. Die Spätfolgen sind auch jetzt noch gar nicht vollständig abzusehen. Bis zu 8.000 Entseucher kämpfen Tag für Tag auf dem AKW-Gelände, gegen die Verstrahlung der Region. Vor allem die täglich wachsende, mittlerweile gigantische Menge radioaktiven Wassers, bereitet riesige Probleme.

 

Einfach werde es auf jeden Fall nicht, die Vorstellungen des heutigen Ministerpräsidenten Shinzo Abe zu erfüllen, sagt Naoto Kan, ehemaliger Regierungschef zu Zeiten der Atomkatastrophe. Heute ist er ein entschiedener Gegner der Atomkraft.

Millionen schwarzer Abfallsäcke – das Aufräumen hat begonnen

Eines der untrüglichsten Zeichen dafür, dass das große Aufräumen in Fukushima begonnen hat, sind Millionen von schwarzen Abfallsäcken, voll mit verstrahlter Erde, welche die Entseuchungstruppen bis heute Stück für Stück entfernen.

Millionen von schwarzen Abfallsäcken mit radioaktiver Erde
Millionen von schwarzen Abfallsäcken mit radioaktiver Erde – Foto: epa/Franck Robichon

Nach dem anfänglichen Chaos, gab es nach vier Jahren die ersten wirklichen Erfolgsmeldungen. 1535 Brennelemente wurden bereits 2015 aus dem Abklingbecken von Block 4 geborgen, wodurch die Strahlenbelastung in vielen Ecken des Geländes stark sank. Und auch die Zuständigkeiten sind nach dieser langen Zeit endlich geklärt worden. Die Entseuchung der Region ist Aufgabe der von Tepco gegründeten Firma “Fukushima-Daiichi Decontamination and Decommissioning Engineering Company”. Mindestens 8.000 Menschen arbeiten täglich an dieser Aufgabe. Natürlich werden so auch Fortschritte erzielt. Diesen stehen jedoch ebenso viele neue Probleme gegenüber, worüber aber sowohl Regierung, als auch Tepco weiterhin gerne schweigen. Zumindest das hat sich seit 2011 nicht verändert. Bereits Ende 2014 gab es zum Beispiel rund 600.000 Kubikmeter kontaminiertes Wasser, welches auf dem Gelände gelagert wird. Maximale Kapazität: 800.000 Kubikmeter, die schon 2015 erreicht sein sollten. Und auch die Brennelemente in Block 1 bis 3 strahlen nachwievor radioaktiv, während die Bergung enorme Probleme bereitet. In Block 3 geht es am besten voran, während Block 1 eine Hülle bekommen hat, vergleichbar mit dem Bleimantel von Tschernobyl, der die Welt heute vor der immer noch austretenden Strahlung schützt.

Es gab Zeiten, da fielen bis zu 800 Kubikmeter verseuchtes Wasser täglich an. Ursache war durch Risse eindringendes Grundwasser, welches sich mit dem, für die verseuchten Reaktorblöcke 1 bis 3 benötigten, Kühlwasser vermischt hatte. Dieses muss abgepumpt und gelagert werden. Mittlerweile fällt nicht mal mehr 1/8 der Menge pro Tag an. Einmal deshalb, weil weniger Kühlwasser benötigt wird und auch, weil 28 Drainagepumpen das eindringende Grundwasser abpumpen, bevor es in die verseuchte Anlage gerät. Wenn Tepco überprüft hat, ob das Wasser wirklich nicht radioaktiv ist, darf dieses vorher abgepumpte Grundwasser übrigens zurück ins Meer geleitet werden.

Quelle: Youtube / ARD

Neue Technologien & 62 Radionuklide im Wasser

Viele der Technologien, die benutzt werden, sind überaus komplex und wurden zum Großteil sogar erst speziell für den GAU neu entwickelt und unter Feldbedingungen in Fukushima getestet worden. Tepco wäre es wahrscheinlich lieber, das verstrahlte Wasser zu dekontaminieren und dann ebenfalls ins Meer abzulassen. Derzeit sind mehrere stationäre, so wie mobile Filteranlagen in Betrieb, doe Cäsium-137 und inzwischen sogar auch Strontium-90 aus dem Wasser herausfiltern. Zahlreiche Multinuklidfilteranlagen, die ebenfalls im Einsatz sind, sollen 62 verschiedene Radionuklide aus dem Wasser entfernen. Geplant war, bis Ende März 2015 590.000 Kubikmeter gefiltert zu haben.

Doch einen Haken hat die Sache: Das radiaktive Tritium lässt sich nicht herausfiltern. Aktuell überschreiten die Tritium-Werte die in Japan zulässigen Grenzwerte um das 10 bis 30-fache. Und zumindest hier funktioniert die Völkerverständigung: Eine japanische, eine russische und eine amerikanische Firma arbeiten im Auftrag von Tepco an neuen Technologien, welche dieses Problem lösen sollen.

Auch andere Vorhaben Tepcos muten nahezu absurd an, zeigen aber auch, wie sehr alle um eine Entseuchung der Region bemüht sind. So soll zum Beispiel das Erdreich rund um die vier strahlenden Reaktorblöcke eingefroren werden, um das riesige Grundwasserproblem zu lösen, das nachwievor in die Reaktoren eindringt und so kontaminiert wird. Denn es droht in naher Zukunft alle Kapazitäten zu sprengen. Das Einfrieren eines Bereichs dieser Größe, ist ein vorher nie da gewesenes Unterfangen. Die Länge des Eiswalls soll mal 1.500 Meter betragen, bei 500 Metern Breite und 200 Metern Tiefe. Halten soll er für mindestens zweidutzend Jahre.

Schrittweise Öffnung der Sperrgebiete

Noch immer sind 100.000 der insgesamt 150.000 geflüchteten Japaner quer durchs Land verteilt und es ist nicht sicher, ob sie je zurückkehren werden. Zwar öffnen die Behörden die Gebiete im Umfeld des Reaktors nach und nach, doch nur ein Bruchteil der ehemaligen Bewohner, traut sich zurückzukehren. Bestes Beispiel: Die Stadt Naraha. Im September 2015 wurde die Sperrzone aufgehoben. Doch heute leben gerade mal 6 % der ursprünglichen Einwohner wieder in dem Ort. Vor allem ältere Menschen kehren zurück. Der Rest der vetriebenen Menschen leben nachwievor in dürftigen Notunterkünften, andere in zugewiesenen Wohnungen, dutzende, teilweise hunderte Kilometer von der alten Heimat entfernt. Und trotz des schleppenden Fortschritts, soll die Wohnbeihilfe der japanischen Regierung bereits 2017 auslaufen.

Fazit: Viele Japaner erwarteten als Lehre aus der Katastrophe, einen großen und nachhaltigen gesellschaftlichen und politischen Wandel. Und zwar nicht nur bezüglich der Energiegewinnung. Denn jede Medallie hat zwei Seiten. Auch die Verwüstung riesiger Landstriche bot am Ende auch eine Chance. Im Rahmen des Wiederaufbaus hätte man demographische, soziale und ökologische Strukturprobleme lösen können. Hätte…

Von der Aufbruchstimmung und dem Willen zum Wandel im Land, ist kaum etwas geblieben. Obwohl der Staat umfangreiche Mittel bereitstellte und unzählige freiwillige Helfer und Experten aus dem ganzen Land permanent vor Ort arbeiteten, verlaufen Wiederaufbau und die Entseuchung schleppend. Und auch Atomstrom wird inzwischen genauso wieder verbraucht wie zuvor. Man könnte fast meinen, Fukushima hat sich, im Rahmen der Energiewende und dem Ausstieg aus der Atomkraft, stärker auf Europa ausgewirkt, als auf Japan selbst. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass auch wir, nach Tschernobyl, zwei Anläufe gebraucht haben, um zumindest teilweise aufzuwachen.

Unterschiede zwischen Fukushima und Tschernobyl

Der Hauptunterschied besteht in der Art des Unfalls. Während 1986 ein Bedienfehler zu einer Explosion im Reaktor geführt hat, kam es in Fukushima nicht zu einer explosiven Zerstörung des inneren Druckbehälters, in welchem sich der eigentliche Reaktor befindet. Die beobachteten Explosionen in Japan waren “sekundärer” Natur, denn sie betrafen nur das den Kernreaktor umgebende Gebäude, das durch den hohen Druck des verdampfenden Kühlmittels schließlich geborsten ist. Auch dabei wurde natürlich Radioaktivität frei, doch während in Tschernobyl ein Feuer im Inneren des Reaktorgebäudes dafür sorgte, dass pausenlos radioaktive Teilchen in die Atmosphäre gepustet wurden, verlief die Kernschmelze in Japan im Vergleich eher ruhig. In Tschernobyl mussten viele Feuerwehrleute herangeführt werden, die verzweifelt versuchten, den Brand zu löschen, denn dieser stellte nach der Havarie das größte Problem dar. Dieses Feuer ist auch maßgeblich dafür verantwortlich, dass nicht nur ein relativ begrenzter Teil des Landes im Umkreis des AKW verstrahlt wurde, sondern dass erhebliche Mengen an Radioaktivität zunächst in den Norden und Westen Europas und dann um die ganze Welt geschleudert wurden. Die radioaktive Wolke umkreiste die Erde damals mehrfach und ließ sich noch einige Zeit nach dem Unglück durch Messungen nachweisen. Die Niederschläge, die über Europa in diesen Tagen niedergingen, sorgten noch in Tausenden Kilometern Entfernung von Tschernobyl für ernsthafte Erhöhungen der Strahlungswerte. Wer damals dabei war, erinnert sich noch an die gesperrten Spielplätze, an untergepflügtes Gemüse auf den Feldern und verstrahlte Milch. Noch heute lassen sich in bestimmten Gegenden Süddeutschlands erhöhte Strahlungswerte in Pilzen und Wild nachweisen. Ungleich dramatischer waren die Folgen für die Bevölkerung in den damaligen Sowjetrepubliken, die direkt von dem Unglück betroffen waren. Heute sind die Länder Russland, Weißrussland und Ukraine die Hauptbetroffenen.

Fukushima verstrahlt das Meer

In Fukushima stieg die Radioaktivität in den ersten Tagen nach dem Unglück ebenfalls in der Atmosphäre an, wenngleich die Werte bei weitem nicht den Level von Tschernobyl erreichten. Die hier meßbaren Niederschläge gingen aufgrund einer verhlältnismäßig günstigen Wetterlage über dem Pazifik nieder. Teile der Radioaktivität schafften es aber bis über den Pazifik hinweg und konnten auch in den Vereinigten Staaaten gemessen werden. Japan selbst hatte das “Glück”, dass der Wind den Großteil der atmosphärischen Strahlung auf das offene Meer hinaustrug und nicht ins Landesinnere. Somit konnte die eigentliche Verstrahlung auf ein vergleichsweise kleines Gebiet rund um Fukushima begrenzt werden. Was nicht bedeutet, dass man nicht auch in anderen Landesteilen erhöhte Radioaktivität gemessen hat. Fukushima Meer Jun Teramoto Flickr CC BY SA 20Der direkte Fallout war aber im direkten Vergleich zu Tschernobyl zunächst geringer. Ein ganz anderes Problem zeigt sich in Fukushima aber jetzt immer stärker: Die Verseuchung des Wassers. Dabei ist nicht nur die offensichtliche Verstrahlung des Meeres gemeint, sondern vor allem auch die Effekte auf das Grundwasser. Um die Kernschmelze nach Möglichkeit zu begrenzen, hatte der Betreiber der Anlage, der Stromanbieter TEPCO, große Mengen Meerwasser in die Anlage gepumpt. Durch das Erdbeben waren die normalen Wasserleitungen teilweise zerstört. Hinzu kam das Problem, dass die Stromversorgung, die für den Betrieb der Pumpen notwendig gewesen wäre, lange Zeit nicht aufrechterhalten werden konnte. Die Notmaßnahme des Einpumpens großer Mengen an Salzwasser hatte aber gravierende Folgen. Zum einen wurden die Anlagen durch das aggressive Meerwasser weiter beschädigt, so dass zahlreiche weitere Lecks an Kühlkreisläufen des inneren und äußeren Systems auftraten. Diese Lecks ließen teilweise verstrahltes Kühlwasser ungehindert ins Freie fließen, wo es entweder direkt ins Meer gelangte oder aber versickerte und heute das Grundwasser belastet. Außerdem konnten die großen Mengen an eingebrachtem (und nun kontaminiertem) Wasser nicht einfach entsorgt werden, so dass sie notdürftig abgedichtet in bestimmten Bereichen des Atomkraftwerks Fukushima verblieben. Und das ohne jedes Konzept für die weitere Vorgehensweise.

Alles halb so schlimm?

Im Februar gab die Weltgesundheitsorganisation WHO bekannt, dass das zu erwartende Krebsrisiko bei der japanischen Bevölkerung durch den Atomunfall vermutlich nicht signifikant erhöht worden sei. Begründet wurde dies mit der bereits erwähnten Ausbreitung der Radioaktivität in den ersten Tagen nach dem Unglück. Es ist gerade dieser Fallout an Partikeln, der für Menschen problematisch ist, denn diese stark strahlenden Teilchen gelangen durch die Atemwege oder durch Hautkontakt in den Körper. Eine rasche und zeitnahe Dekonatminierung kann den Unterschied ausmachen zwischen Spätfolgen und einem eher glimpflichen Ausgang. Dies gilt natürlich nicht für Personen, die der direkten Strahlung am AKW über längere Zeit ausgesetzt waren. Diese machen für die Statistik (die für die gesamte Bevölkerung erstellt wird) aber kaum einen Unterschied. Ebenfalls auf die Statistik verweisen Experten aus anderem

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Grund: Denn während die Netto-Todesfallrate selbst mit allen möglichen Spätfolgen der Radioaktivität vergleichsweise gering bleiben dürfte, werden die vielen tausend Opfer des Erdbebens und Tsunami zunehmend von der Weltöffentlichkeit vergessen. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass man in Japan inzwischen wieder damit anfängt, die in der Zwischenzeit abgeschalteten Atomkraftwerke wieder ans Netz zu nehmen. Vor dem Unglück von Fukushima bezog das Land einen erheblichen Teil der Stromversorgung aus 50 Atomkraftwerken. Nach dem Atomunglück wurdne zunächst alle AKW abgeschaltet, um die Sicherheitsstandards zu überprüfen und zu verbessern. Die japanische Regierung gab vor Kurzem bekannt, vier Reaktoren nun wieder anfahren zu wollen. Ein Hauptgrund für den Rückgriff auf die Atomkraft dürfte auch in der japanischen Wirtschaft liegen. Denn durch den Ausfall der Stromerzeugungskapazitäten der Atomkraftwerke mussten fossile Kraftwerke wieder verstärkt genutzt werden. Hierfür mussten Unmengen an Brennstoff aus dem Ausland eingeführt werden, welche die Energieerzeugung in Japan stark verteuert haben. Das allein wäre vielleicht noch nicht so schlimm gewesen, doch gerade im Westen wird von Seiten der Atomkritiker häufig vergessen, wie stark das Land durch Erdbeben und Tsunami in Mitleidenschaft gezogen wurde. Selbst wenn man kein Verständnis für Atomkraft an sich hat, fällt es schwer, diese Entscheidung angesichts der mangelnden Alternativen zu kritisieren.

Verseuchtes Grundwasser

Nun könnte man angesichts der jüngsten Berichte von WHO und UN davon ausgehen, dass der Atomunfall von Fukushima gar nicht so schlimm gewesen ist. Diese Annahme ist allerdings offenbar nicht richtig. Über die Spätfolgen lässt sich – Statistik hin oder her – mithin nur spekulieren. Richtig bleibt, dass die Auswirkungen im Vergleich zu den Schäden durch Erdbeben und Tsunami vergleichsweise gering ausfallen, doch im Einzelfall dürften die Betroffenen deswegen nicht weniger leiden. Wirklich gravierend scheint aber eine neue, schleichende Panne zu sein, die Fukushima doch noch zu einem langfristigen Problem für ganz Japan machen könnte. Der Stromanbieter Tepco hat mittlerweile Berichte bestätigt, denen zufolge große Mengen an Grundwasser durch die Atomruine verstrahlt werden. Und zwar noch immer, jeden Tag. Denn der Spiegel des radioaktiv verseuchten Grundwassers steigt täglich. Der Betreiber versucht verzweifelt, die großen Mengen abzupumpen, um zu verhindern, dass weiteres Wasser ins Meer gerät. Doch das Platzproblem lässt sich so schnell nicht lösen: Wohin soll das verseuchte Wasser? Die Speicherkapazitäten vor Ort sollen schon zu rund 90 Prozent erschöpft sein. Jüngste Berichte sprechen sogar davon, dass bereits jetzt jeden Tag bis zu 300 Tonnen radioaktiv belastetes Wasser ungehindert in den Pazifik sickert. Tepco hat sich an die japanische Regierung gewendet, weil der Konzern offenbar mit der Bewältigung der Probleme zunehmend überfordert ist. Es ist nur das letzte in einer langen Reihe von Problemen, die Tepco vor, während und nach dem Atomunfall in Fukushima falsch angegangen ist. Ministerpräsident Abe sicherte dann auch rasch staatliche Hilfe zu. Japan müsse dem Stromanbieter dabei helfen, die Katastrophe nicht noch schlimmer werden zu lassen. Um eine wirksame Abschottung zu errichten, sollen dem Regierungschef zufolge mehrere Milliarden Euro bereitgestellt werden. Das Einsickern der verstrahlten Wassermassen in das Grundwasser hatte Tepco eigentlich durch die Verwendung einer bestimmten Chemikalie verhindern wollen. Diese war in den Boden injiziert worden und sollte eine Art Barriere bilden, die das Grundwasser vom radioaktiven Wasser trennen sollte. Dies hat aber offenbar nicht funktioniert. Experten gehen davon aus, dass die Sperre bereits jetzt wirkungslos geworden ist und die Verseuchung des Grundwassers weiter voranschreitet. Die Belastungen rund um das AKW sind indes wieder stark gestiegen. Tepco sprach von einer 90fachen Erhöhung der Werte für Cäsium 134. Diese Entwicklung könnte dann auch eine Neubewertung der Langzeitfolgen für die Bevölkerung erfordern – denn wenn die Menschen jetzt auch noch verseuchtes Wasser zu sich nehmen, ändert das die möglichen Auswirkungen grundlegend, wie viele Forscher befürchten. Hinzu kommt ein erneuerter Fallout – denn je mehr verseuchtes Wasser in den natürlichen Kreislauf von Meer und Grundwasser gelangt, desto mehr regnet auch wieder ab. Dieser Regen, der sich natürlich auch im Rest des Landes niederschlagen kann, enthält wiederum verstrahlte Partikel. Wie stark die Auswirkungen dieses Effekts letztlich sind, werden Messungen zeigen müssen. Dass es nach wie vor in keiner Weise mit der Kernschmelze in Tschernobyl zu vergleichen ist, bleibt indes eine Tatsache. Besser macht es die Situation für die Betroffenen aber nicht.

Tschernobyl Heute

Und wie sieht es in der Ukraine aus, gut 25 Jahre nach der Kernschmelze? Jeder kennt die Bilder von krebskranken Kindern, die in Waisenhäusern alleine gelassen wurden, weil niemand sie mehr haben wollte. Doch natürlich hat die Strahlung auch rund um das AKW Tschernobyl inzwischen deutlich nachgelassen. Es ist nicht die absolute Todeszone, an die man denkt, wenn man den Namen heute hört. Fraglich ist, ob der inzwischen eingesetzte Tourismus-Boom wirklich empfehlenswert ist. Chernobyl gpjt Flickr CC BY SA 20In der Tat karren jeden Tag Busse zahlreiche Touristen in das Katastrophengebiet, um sich die Geisterstädte rund um das AKW anzusehen. Direkt an den Reaktor darf man allerdings nach wie vor nicht. Überraschend gut scheint die Umwelt mit der Verstrahlung zurechtgekommen zu sein. Pflanzen und Tiere zeigen weitaus weniger Mutationen und Fehlbildungen, als man zunächst angenommen hatte. Tatsächlich haben einige Wissenschaftler ihre früheren Ergebnisse sogar revidieren müssen. So hatte ein renommierter Biologe scheinbar krankhafte Veränderungen bei einer Schmetterlingsart festgestellt, inzwischen aber eingeräumt, dass es sich um eine ganz eigene Art gehandelt hat, die so in der Natur vorkommt und bisher unbekannt war. Diese Meldungen sollten aber weder die Auswirkungen verharmlosen noch darüber hinwegtäuschen, dass in Tschernobyl weiterhin eine Zeitbombe tickt. Seinerzeit war der Reaktor unter einem Sarkophag aus Beton begraben worden, um ein weiteres Austreten von radioaktiven Partikeln zu verhindern. Inzwischen ist diese Hülle aber brüchig geworden. Stürzt sie ein, befürchten Experten eine erneute Freisetzung von Radioaktivität in die Atmosphäre, die mit den Ereignissen von 1986 durchaus vergleichbar wäre. Als Gegenmaßnahme soll eine gigantische Halle über dem Reaktorgebäude und dem Sarkophag errichtet werden, deren Bau aber nur langsam vorankommt. Die Ukraine hat schlicht nicht die finanziellen Mittel – und Geldgeber aus Russland und der EU sind eher zögerlich. Eine echte Beseitigung des Problems stellt aber auch diese Lösung nicht dar. Es ist wie mit dem Atommüll generell: Er ist jetzt da, und wir werden ihn nicht mehr durch Demonstrationen oder Argumente los. Echte Lösungen sind gefragt, um weitere Katastrophen zu verhindern. Deutschland setzt seitdem auf den successiven Abbau aller Atomkraftwerke, was den ohnehin schon hohen Strompreis weiter in die Höhe treibt.

Bildnachweis:
Titelbild: Abode of Chaos via Flickr.com / Lizenz: CC BY 2.0
Bild 1: Jun Teramoto via Flickr.com / Lizanz: CC BY-SA 2.0
Bild 2: hige-daruma via Flickr.com / Lizanz: CC BY 2.0
Bild 2: gpjt via Flickr. com / Lizenz: CC BY-SA 2.0
Video: Theo Christoudias via youtube

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